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Musik 18.01.2018

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Musik von A bis Z: G wie Gregorianischer Gesang

Reserviert für Katholiken?

Viele Priester nutzten die Reform des Zweiten Vatikanischen Konzils, um den gregorianischen Gesang aufzugeben. Artikel 116 des Sacrosanctum Concilium weist jedoch eindeutig darauf hin, dass der Gregorianische Gesang ein wesentlicher Bestandteil der römisch-katholischen Kirche ist: "Die Kirche [römisch-katholische , I.S.] erkennt im Gregorianischen Gesang den richtigen Gesang der römischen Liturgie. Er ist deshalb derjenige, der in den liturgischen Handlungen den ersten Platz einnehmen muss“. Es könnte nicht klarer sein. So scheint es auch offensichtlich, dass der Gregorianische Gesang nicht Teil der reformierten Tradition ist. Oder doch? Als Luther Choräle schrieb (oft von Bach in seinen Kantaten übernommen), nahm er Greogrianische Gesänge und passte deren Rhythmus an die deutschen Sprache an.

Beispiel Oster-Sequenz "Victimae paschali laudes", zuerst in seiner ursprünglichen Version:

https://www.youtube.com/watch?v=Ty9eJAL9Ybg&ab_channel=GradualeProject

dann in seiner lutherischen Version:

https://www.youtube.com/watch?v=o01U-RViklg&ab_channel=HannahSorayaMikhaiel

Und hier dieses von Bach neu erfundene Lied mit seiner Genialität des Kontrapunkts und der Variation:

https://www.youtube.com/watch?v=3ffg4mU7FNE&ab_channel=EnsembleOrlandoFribourg

 

Ist gregoarianischer Gesang auch etwas für unseren Chor?

Gregorianischer Gesang ist in sich eine Gesangsschule. Er erfordert eine Beherrschung des Atems, eine innere Ruhe, eine Einfachheit, sogar eine Form der Demut. Ob wir nun katholisch oder protestantisch, muslimisch, buddhistisch oder atheistisch sind, ob wir nun in einem Gemeindechor singen oder nicht, es wird nur zum Vorteil für den Chorklang sein, ab und zu einen gregorianischen Choral zu singen, auch wenn der Chor dann ein anderes Repertoire anstimmt.

Notation

Wenn man einen Gregorianischen Choral interpretieren möchte, muss man zuerst eine Auswahl treffen. Der einfache Weg ist, eine moderne Notation zu wählen. Die Tatsache, dass man mit Viertel- und Achtelnoten konfrontiert wird, beeinflusst den Rhythmus jedoch massgeblich, da das gewählte Stück in einen rhythmischen Rahmen gestellt wird, der wenig mit dem Ursprung zu tun hat.

Man kann aber auch die so genannte Quadratnotation wählen, die auf vier Zeilen geschrieben ist. Diese Notation erfordert etwas Wissen, aber mit ein bisschen Anstrengung versteht man dieses System, das den Vorteil hat, eine große rhythmische Freiheit zuzulassen, sehr rasch.

Ist dieses System hinsichtlich der Intervalle auch genau, so gibt es doch nur wenige Hinweise bezüglich der Agogik. Um einen Schritt weiter zu gehen, ist es notwendig, ältere Notationen zu suchen. Die Notation aus der Abtei St. Gallen und ihrer Umgebung oder die Metz-Notation (aus der französischen Stadt Metz) sind zwei Beispiele. Diese beiden Schriften zeigen sehr deutlich, wann es ratsam ist, zu verlangsamen, zu beschleunigen, eine Gruppe von Noten zu halten oder im Gegenteil sie leicht und schnell wie ein Ornament zu singen.

Das Problem ist, dass dieses System zwar perfekt zeigt, wie man leichte Änderungen des Rhythmus‘ und des Tempos in der Interpretation vornimmt, es jedoch bezüglich der Intervalle nicht genau ist. Die Neume markiert, dass es notwendig ist, nach oben oder unten zu gehen, aber nicht mit einem präzisen Intervall. Zu dieser Zeit war das Repertoire, das weniger verbreitet war als heute, auswendig bekannt. Die Notierung war eine Art Erinnerung. Heute ist es unmöglich, mit einer solchen Partitur Blattzulesen! Aus diesem Grund veröffentlichten die Benediktinermönche von Solesmes 1979 das Graduale Triplex. Diese Sammlung, Frucht einer sehr langen Arbeit, die auf der Gregorianischen Semiologie aufgebaut wurde, zeigt drei Versionen eines Liedes: Die quadratische Notation erscheint in der Mitte, unten, in rot, ist das gleiche Lied in der Notation von St. Gallen oder Einsiedeln, oben, in schwarz, steht die Notation von Metz oder Laon. Wer diese Notationen also studiert hat, kann sein Lied auf andere Weise angehen.

Thierry Dagon