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Musik 02.03.2018

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Musik von A bis Z: H wie Harmoniques (dt. Obertöne)

Natürliche Obertöne

Bestimmt haben Sie beim Hören eines Alphorns schon einmal bemerkt, dass bei bestimmten Noten das Ohr aufhorcht. Diese Noten scheinen nicht in der üblichen Tonleiter zu liegen, sondern etwas zu hoch zu sein im Vergleich zu der gleichen Note, die auf einem Klavier gespielt wird.

https://www.youtube.com/watch?v=WL4e6XmKadk

Und doch ... nicht das Alphorn liegt akustisch gesehen falsch, sondern das Klavier! Aber warum? Im Verlauf der Musikgeschichte kam das Bedürfnis auf, während eines Liedes die Tonalität zu ändern. Es wurde notwendig, die Halbtöne anzupassen. Diese Anpassung wird als wohltemperierte Stimmung bezeichnet, mit der heute ein Klavier gestimmt wird. Tatsächlich verstimmt sie einige Intervalle, um ohne Probleme von C-Dur nach F-Dur übergehen zu können.

Im Mittelalter wurden die natürlichen Quinten bevorzugt, in der Renaissance waren die grossen Terzen kleiner als heute und die kleinen Terzen etwas größer. Während der Barockzeit entstand eine Vielzahl von Stimmmethoden, aber keine verwendete die wohltemperierte (entgegen der landläufigen Meinung, dass Bach sie für sein "wohltemperiertes Klavier" verwendete). Dass Töne eigentlich nicht austauschbar sind, kann das Ohr vielleicht schockieren, da es nur die wohltemperierte Stimmung des Klaviers kennt. Und doch ... jeder Ton hat seine eigene Farbe. Bach zum Beispiel verwendet nicht den gleichen Ton, um über Gott oder Satan zu sprechen!

Hier ist ein Beispiel für die mitteltönige Stimmung, die in der Renaissance und in der französischen Barockmusik verwendet wurde.

https://www.youtube.com/watch?v=AQ8SucJPLGA

 

Im Innern des Klangs

Wenn Sie ein Klavier zur Hand haben, versuchen Sie folgendes Experiment: Drücken Sie, ohne die Saiten vibrieren zu lassen, mit Ihrem ganzen rechten Unterarm auf die Tasten (schwarz und weiss). Tippen Sie gleichzeitig mit der linken Hand kurz auf eine tiefe Note. Sie werden einige hohe Saiten hören, die mitvibrieren. Dies sind Obertöne. Jede Note, zusätzlich zu der gespielten und als Grundton bezeichneten, besteht aus einer Vielzahl von Obertönen. Es sind die Obertöne, die grösstenteils den Ton des Instruments ausmachen. Ein Beispiel: Die Klarinette hat einen sehr reinen, obertonarmen Klang. Die Oboe hingegen ist sehr reich an Obertönen, so dass ihr Klang, auch pianissimo, aus der Ferne zu hören ist. Hier, um eine kleine Pause in unserer Abhandlung zu machen, ein bisschen Oboenmusik:

https://www.youtube.com/watch?v=yIQ1Kafyk2w

 

Die Obertöne der Stimme

Die Obertöne der Stimme bewirken, ob wir den Klang am Boden des Konzertsaals wahrnehmen oder nicht. Die Tatsache, dass man eine professionelle Sopranistin auch mit einem Orchester hört und dass wir andererseits überhaupt nichts mehr hören, wenn wir einem Popsänger das Mikrofon wegnehmen, ist kein Zufall. Die Sopranistin feilt viele Jahre täglich an ihrer Technik. Sie lernt ihren Sängerformanten zu gebrauchen. Sängerformant? Es klingt in der Theorie komplizierter als in der Praxis! Der Sängerformant soll das Oberwellenband zwischen 2,5 und 4 kHz (Kilohertz) verstärken. Dies wird erreicht, indem der hintere Teil des Halses erweitert, der weiche Gaumen angehoben und der Kehlkopf leicht gesenkt wird. Die Verstärkung dieser Obertöne verleiht der Stimme nicht nur Volumen, sondern auch Tragfähigkeit. So können auch sehr weiche Nuancen gehört werden.

Nun folgen einige Beispiele für sehr obertonreiche Stimmen. Zuerst die Sopranistin Gundula Janowitz, die in Mozarts Zauberflöte ein unglaubliches Höhenpianissimo wagt.

https://www.youtube.com/watch?v=5aFZ8xz-3gg

Gundula Janowitz

Dann die wunderbare Stimme von Nathalie Stutzmann, die das Orchester auch in diesem ersten Satz von Vivaldis Stabat Mater leitet.

https://www.youtube.com/watch?v=6pqRL2SP730&ab_channel=aptlymedias

Nathalie Stutzmann

Der Tenor Juan Diego Florez scheint dank seiner aussergewöhnlichen Technik mit den neun hohen Cs zu spielen, die in dieser berühmten Donizetti-Melodie aufeinander folgen.

https://www.youtube.com/watch?v=nPR9bwikHg4

Juan Diego Florez

Und zum Schluss hören wir den schönen Gesang des Basses Kurt Moll, der auch über eine wunderbare Sprechstimme verfügt, unvergleichlich in dieser Arie von Osmin.

https://www.youtube.com/watch?v=K7OMOFJACB4&ab_channel=BassosaurusRex

Kurt Moll

Der Obertongesang

Eine bestimmte Gesangstechnik beeindruckt die westlichen Ohren: der Obertongesang. Einige asiatische Kulturen bringen durch einen einfachen, aber präzisen technischen Prozess bestimmte Obertöne hervor, die über dem Grundton liegen. Abhängig von der regionalen Tradition werden unterschiedliche Mittel verwendet. Die Obertonstimme der tibetischen Mönche ist nicht die gleiche wie die des mongolischen Reiters. Im Grunde geht es darum, zweistimmig zu singen. Ganz alleine. Genau, das ist möglich, und nicht einmal so kompliziert!

Hier ein Beispiel des traditionellen mongolischen Singens: Nach einer kurzen gesungenen Einleitung hält der Sänger eine Grundnote und erzeugt oben eine zweite Stimme.

http://www.dailymotion.com/video/xi8ben

Mongolischer Obertonsänger

Während der "New Age" -Bewegung erkannten die Westler  bald die Fähigkeit dieser Technik, die Zuhörerin (und den Sänger) in einen meditationsähnlichen Zustand zu bringen. Seitdem haben sich viele Solisten und Chöre auf das Abenteuer eingelassen. David Hykes beherrscht den Obertongesang vollkommen und hinterlässt uns eine grosse Diskographie.

https://www.youtube.com/watch?v=_P3i9HOJ7Hg

Wer anhand eines Beispiels verstehen will, wie Obertongesang funktioniert, versuche es mit dem Ethnomusikologen Tran Quang Hai (bei dem ich die Chance hatte, einen Kurs zu besuchen). Er ist ein hervorragender Lehrer und kann besser als jeder andere  erklären, was auf den ersten Blick abstrus erscheinen mag!

https://www.youtube.com/watch?v=OnXBOCBmmTU

Thierry Dagon (Übersetzung: Isabelle Schmied)