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Musik von A bis Z: R wie Ravel
Bolero
Wenn man über die Arbeit von Ravel spricht, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Bolero zitiert wird, sicherlich das berühmteste Stück des Komponisten. Diese Arbeit ist eine der meistgespielten überhaupt, eine Ausführung des Bolero beginnt alle 10 Minuten irgendwo auf der Welt. Dieses Stück dauert siebzehn Minuten, es wird also jederzeit und überall gespielt! Einige selbsternannte Intellektuelle machen sich hie und da lustig über den Bolero, er sei langweilig, weil repetitiv. Sie vergessen, dass es in den musikalischen Parametern nicht nur der Rhythmus (Dauer) und die Melodie (Höhen) sind, die in diesem Stück bemerkenswert sind, sondern dass es auch notwendig ist, sich mit Intensität und Klangfarbe zu befassen. Intensität: Das ewige Crescendo in diesem Stück ist absolut faszinierend und es ist eine Herausforderung für den Dirigenten, es so zu dosieren, dass es konstant bleibt. Klangfarbe: Ravel ist ein hervorragender Orchestrator und zeigt sein Können im Bolero. Er verwendet seltene Instrumente mit Bedacht: Oboe d'amore, kleine Klarinette, Sopransaxophon und Tenorsaxophon, Celesta, kleine Trompete. Wahr ist, dass der Komponist mit seinem Stück nicht zärtlich war und beklagte, dass dieses seine anderen Kompositionen überschattete.
Hier ein Video, in dem der wunderbare Dirigent Leonard Bernstein jungen Menschen den Bolero anhand eines Beispiels erklärt:
https://www.youtube.com/watch?v=fVSUNTq-gek
Chormusik: Drei Lieder
Zwar gibt es Arrangements für Chor aus Instrumentalmaterial, Ravel hat aus eigener Feder aber nur ein Original-Chorstück geschrieben: seine drei Lieder. Diese Stücke, die zwischen 1914 und 15 entstanden sind, gehören heute unvermeidlich zum Chorrepertoire, sind aber aufgrund ihrer Schwierigkeit nicht für alle Chöre zugänglich. Ravel war auch ein Dichter, der diese drei Texte selbst schrieb. Und wir stellen mit Glück fest, dass der Komponist nicht "nur" musikalisches Talent hat. Seine drei Gedichte sind im Stil von Kinderreimen verfasst. Er verleiht ihnen eine archaische Note und kleidet sie mit Musik, die an die Renaissance erinnert.
Nicolette ist eine Variation zum Thema des Rotkäppchens mit einem wunderbaren Hauch von Humor. Ein Thema bestimmt die Szene, gefolgt von drei Variationen. In der ersten begegnet das junge Mädchen dem Wolf und bekommt Angst. In der zweiten lernt sie einen jungen Liebhaber kennen und weist ihn zurück. In der dritten sieht sie sich mit einem schrecklichen Wesen konfrontiert: "hässlich, stinkend und dickbäuchig". "Schnell war sie in seinen Armen, die gute Nicolette und ist nicht mehr zurückgekehrt." Das ist sicher nicht sehr romantisch, aber amüsant, zumal Ravel das Thema perfekt ausnutzt und es in jeder Stimme des Chors herausstellt, wobei das Tempo und die Harmonie nach den Charakteren variieren.
Ernsthafter ist das zweite Lied. Drei wunderschöne Paradiesvögel entwickeln eine raffinierte Melodie, die der Solosopranistin anvertraut ist, auf die nacheinander die Soli Alt, Tenor und Bariton antworten, während der Chor die Melodie durch eine Begleitung ohne Worte unterstützt. Die kleine Phrase als Refrain ("Mein Freund ist im Krieg") erinnert deutlich an die politische Situation, in der Ravel schrieb.
La Ronde schliesst das Triptychon. Während dieses lustigen und virtuosen Stücks wird eine besondere Harmonie hergestellt. Wir sind in A-Dur, aber mit dem Zusatz eines Dis erhält das Stück eine mixolydische Note. Die Musik ist subtil geschrieben, was man von Ravel erwarten kann, aber der Text zeigt, wie sehr unser Komponist ein Gelehrter ist. Im Text wird jungen Mädchen und Jugendlichen geraten, nicht in den Wald zu gehen unter dem Vorwand, dass sie Satyrn, Zauberer, Korrektoren, Kobolde, Zentauren und eine ganze Reihe dämonischer Charaktere antreffen. Die Musik ist mit einer schwindelerregenden Geschwindigkeit geschrieben, die die Chorsängerinnen und -Sänger zu einer anspruchsvollen Ausspracheübung auffordert.
Wir haben eine Interpretation mit einer grossen Präzision gefunden, die der BBC-Sänger:
https://www.youtube.com/watch?v=AHZctP9hbsg
Arrangements
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Orchesterwerke von Ravel zu arrangieren. Man kann ein Orchesterwerk übernehmen und einfach die melodische Linie und einige Instrumentalstimmen singen. Oder man kann ein Gedicht nehmen, das dem Charakter des Stücks entspricht und dessen Prosodie sich an eine Melodielinie anpassen kann.
Als Beispiel für die erste Art von Arrangement dient die berühmte Pavane pour une infante défunte (Pavane für ein verstorbenes Kind), arrangiert für Kinderchor und Klavier. Die Aufnahme ist mittelmässig, die Bildqualität nicht minder, das Klavier ist ein schreckliches elektrisches Ding, aber die Stimmen der Jungen sind grossartig!
https://www.youtube.com/watch?v=kjkLx0DNOE4
Für die zweite Art hat Thierry Machuel einen schönen Text von Benoît Richter genommen. Hier ist die Klangqualität ausgezeichnet, der grossartige Film und die Interpretation des Accentus-Ensembles spiegeln perfekt die magische Atmosphäre des Jardin Féerique wider, der letzten und erhabenen Bewegung der Contes de ma mère L`Oye (Mutter Gans).
Opernchor
Für die Stimme hat Maurice Ravel auch wunderschöne Melodien geschrieben. Er komponierte zwei sehenswerte Opern: L’heure espagnole (Die spanische Stunde) und L‘enfant et les sortilèges (Das Kind und der Zauberspuk). Die erste ist eine kurze Farce mit nur fünf Stimmen. Das Orchester ist sehr gut ausgestattet, aber es gibt keinen Chor in dieser Oper.
Für L‘enfant et les sortilèges hingegen spielen die Chöre eine wesentliche Rolle. In dieser lyrischen Fantasie, die jeder Chor in seiner CD-Abteilung haben sollte (und die jeder Elternteil an seine Kinder weitergeben sollte), sitzt ein siebenjähriger Junge mürrisch vor seinen Schulhausaufgaben. Die Mutter betritt den Raum und ärgert sich über die Faulheit ihres Sohnes. Bestraft wird er von einem Wutanfall erfasst: Er wirft die chinesische Tasse und die Teekanne zu Boden, quält das Eichhörnchen in seinem Käfig und zieht am Schwanz der Katze, er rührt die Glut mit einem Schürhaken, verschüttet den Kessel, er zerreisst sein Buch, reisst die Tapete ab, reisst die alte Uhr ab. "Ich bin frei, frei, böse und frei!", ruft er. Erschöpft fällt er in den alten Stuhl ... aber dieser bewegt sich. Dann beginnt das fantastische Spiel. Gegenstände und Tiere werden lebendig, sprechen und bedrohen das erschrockene Kind. Im Haus, dann im Garten, entlarven die Kreaturen nacheinander ihre Missstände und ihren Rachsuchtstrieb. Als das Kind seine Mutter ruft, werfen sich alle Kreaturen auf ihn, um ihn zu bestrafen. Aber bevor er in Ohnmacht fällt, heilt er ein kleines Eichhörnchen, das im Tumult verletzt wurde. Aus Reue vergeben die Kreaturen ihm und bringen ihn zu seiner Mutter zurück. Die Oper endet mit den beiden vom Kind gesungenen Silben: "Mama“.
Der Text wurde von Colette geschrieben und das Zusammentreffen seiner Texte mit der Musik von Ravel ist perfekt. Leider ist die Inszenierung sehr komplex, die Anzahl der Solisten beeindruckend (20 Rollen, von denen einige von derselben Person gesungen werden können), diese Oper wird nicht oft gespielt, dafür oft in Konzertfassung. Jede Szene führt einen neuen Charakter ein und Ravel ändert den Stil jedes Gemäldes völlig und bleibt sich dabei vollkommen treu.
Der erste Chor greift am Anfang ein: Das Kind hat gerade die alte Tapete herabgezogen, auf der Hirten abgebildet sind. Sie erkennen, dass sie aufgrund der Bosheit des Bösewichts nicht in der Lage sein werden, ihre Romantik fortzusetzen. Ravel malt diese Szene wunderbar, lässt einen Teil des Chors auf dem Buchstaben Z singen und ahmt so ein altes Bourdoninstrument nach. Es gibt einen Trommelrhythmus, der an einen beliebten Tanz erinnert, Holzbläser, die eine folkloristische Melodie spielen und, um eine besondere Farbe zu verleihen, ein Lutheal (ein Klavier, in das ein Metallmechanismus zwischen Hämmer und Saiten eingearbeitet ist). Heutzutage wird häufig ein Blatt Papier oder Aluminium verwendet, um dieses Instrument, von dem nur noch eine Kopie im Museum des Brüsseler Konservatoriums und eine Kopie im Musikmuseum in Paris übrig ist, zu ersetzen.
https://www.youtube.com/watch?v=sUYripNJp_A
Der Chor schafft eine sehr mysteriöse Atmosphäre, wenn das Kind sich im Garten befindet. Frösche, Fledermäuse, Vögel, eine ganze Menagerie, der Ravel sich hingibt.
Der Männerchor verkörpert die Bäume und klagt über Wunden, die das Kind ihnen mit einem Messer zugefügt hat. Ein Kinderchor greift in den unheimlichen Alptraum ein.
https://www.youtube.com/watch?v=YWPpsMPLgrY
Um dieses Juwel in seiner Gesamtheit zu hören, empfehlen wir Ihnen, die grossartige getanzte Produktion zu sehen, die (auf einer historischen Aufnahme von Lorin Maazel) vom Nederlands Dans Theatre nach der fantastischen Choreografie von Jiří Kylián getanzt wurde.
https://www.youtube.com/watch?v=7zQxo4kueJc
Thierry Dagon (Übersetzung: Isabelle Schmied)