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Musik 04.03.2019

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Musik von A bis Z: P wie Palestrina

Viele Chöre planen das eine oder andere Werk dieses Musikers bei Konzerten geistlicher Musik ein. Denn seine Musik bereitet wenig technische Probleme: angenehmer Stimmumfang, klare  Stimmführung, leichte Rhythmen. Die Schwierigkeit liegt jedoch in der Interpretation. Manchmal sind sich die Dirigenten der musikwissenschaftlichen Fortschritte in diesem Bereich nicht bewusst und greifen auf Ausgaben mit willkürlichen Tempi, Verlangsamungen am Ende des Satzes, übertriebenen Crescendi und Decrescendi, romantischen Nuancen oder sogar mit Klavierbegleitung zurück. Ein gutes Kaminfeuer sind diese Ausgaben höchstens wert!

Kindheit und Ausbildung

Giovanni Pierluigi – letzterer ist sein Familienname – wurde um 1525 geboren. Das genaue Datum ist nicht bekannt. Er wurde in der Gemeinde Palestrina in der Nähe von Rom geboren, daher auch sein zukünftiger Name: Giovanni Pierluigi da Palestrina. Es gibt drei Geschichten darüber, wie man die musikalischen Fähigkeiten des kleinen Giovanni entdeckt hatte. Die erste behauptet, der Priester von Santa Maria Maggiore hätte ihn auf der Strasse singen hören, auf der er oft von Palestrina nach Rom gegangen war. Angetan von seiner Stimme beschloss er, ihn in Gesang auszubilden. Die zweite besagt, dass er dem Kapellmeister während eines Konzertes aufgefallen war mit der «Genauigkeit, mit der das Kind die Kadenz zur Melodie aus dem Stegreif begleitete» und er hatte ihn dann zu sich kommen lassen, um ihn zu auszubilden. Mit einem solchen Erfolg, dass Giovanni bald zum «Vorbild für alle» wurde. Eine dritte Geschichte, mehr Legende, behauptet, ein reicher Spanier, der Palestrina durchquerte, war von Giovannis musikalischen Begabungen derart fasziniert, dass er sofort seine Eltern benachrichtigte. Wir bleiben bei der wahrscheinlichsten Spur von Santa Maria. Ein kleiner Sänger wird ab dem Alter von sechs Jahren bis zu seiner Reife komplett ausgebildet. Er wird gepflegt, untergebracht, gekleidet, in Gesang und Grammatik unterrichtet. Er nimmt täglich an der gesamten Liturgie teil, erhält gregorianischen und polyphonen Unterricht und Theorie. Kontrapunkt, Komposition und Orgel gehören zum Alltag. Palestrina studierte auch bei Claude Goudimel. Der französische Komponist hatte in Rom eine Musikschule eröffnet. Obwohl nicht bekannt ist, wie lange Pierluigi bei Goudimel studiert hat, ist es eine amüsante Tatsache, dass Palestrina, einer der herausragenden Vertreter der katholischen Musik, beim wichtigsten Komponisten der frankophonen Reformation studierte.

1554 veröffentlichte Pierluigi seinen ersten Band, der Papst Julius III. gewidmet war. Diese Sammlung, die vier vierstimmige Messen beinhaltete und eine mit fünf, in dem damals bevorzugten Stil geschrieben, wurde 1554 von den Brüdern Dorici in Rom gedruckt. Diese Arbeiten zeigen den starken Einfluss von ausländischen Musikern, vor allem der Flamen, in der italienischen Kunst zu dieser Zeit. Palestrina erfand in dieser ersten Arbeit nichts, was er nicht direkt von seinen Meistern gelernt hatte: ihr Stil wird sehr genau reproduziert, vielleicht mit etwas mehr Leichtigkeit. Alle kompositorischen Finessen lagen der franko-flämischen Schule am Herzen: komplexe Rhythmen, vertrackte Harmonien. Nur die erste Messe, «Ecce sacerdos Magnus», deutet das zukünftige Genie des Komponisten an.

Es ist zu diesem Zeitpunkt, als Palestrina sich verheiratet. Alles, was wir über seine Frau wissen, beschränkt sich auf ihren Taufnamen Lucrezia. Sie schenkte ihrem Mann vier Söhne und starb nach einer langen, scheinbar glücklichen Ehe 1580.

Ich schlage Ihnen vor, das Sanctus dieser Messe zu hören «Ecce sacerdos magnus» interpretiert vom Chor des Radios svizzera italiana, geleitet von Diego Fasolis –

https://www.youtube.com/watch?v=wOwsFRKlifY

 

Kapellmeister

Der erste Stein des Petersdoms wurde 1506 gelegt, etwa zwanzig Jahre vor der Geburt unseres Komponisten. Der Petersdom wird erst 1615, etwa zwanzig Jahre nach dem Tod von Pierluigi, fertiggestellt. Die fertige Kirche sah er also nicht, geschweige denn den Petersplatz, wie wir ihn kennen. Am 25. Oktober 1544 wurde Pierluigi zum Organisten der St. Agapit-Kathedrale ernannt. Er war auch Lehrer und kümmerte sich um den täglichen Chorteil der Messe, um Vesper und Komplet, jedoch ist relativ wenig über seine musikalische Tätigkeit bekannt. Papst Julius III. wurde 1550 ernannt. Im folgenden Jahr ernannte er Palestrina zum Leiter des Giulia-Kapellenchores des Petersdoms. Es ist der wichtigste römische Posten nach demjenigen, den päpstlichen Chor zu leiten, ein Posten, für den unser Komponist 1555 ernannt wird.

 

Kompositionen

Man muss sich vorstellen (was allerdings schwierig ist), dass zu dieser Zeit die Mehrheit der liturgischen Musik improvisiert wurde. Es ist ein bisschen wie wenn man heute vier grossartige Sänger zusammenbringen würde, etwa Andreas Scholl, Countertenor, Juan Diego Flórez, Tenor, Bryan Terfel, Bariton und Matti Salminen, Bass. Stellen Sie sich vor (und das ist noch schwieriger), dass diese vier grossen Sänger über das kompositorische Wissen von vier grossen zeitgenössischen Komponisten verfügen würden (nehmen wir das Beispiel von Komponisten, die gestorben sind, um nicht eifersüchtig zu sein): Stockhausen, Boulez, Berio und Ligeti. Als Basismaterial haben sie den Gregorianischen Choral des Tages zur Verfügung und verwenden das passende Klangmaterial, um einen Kontrapunkt zu diesem Thema zu improvisieren. Zunächst wird entschieden, dass man beim Kyrie beispielsweise das gregorianische Thema mit langen Notenwerten verwendet und vom Tenor singen lässt, der Bass bildet ein harmonisch-kontrapunktisches Fundament, der Bariton singt im Kanon, eine Sexte unter dem Kontrapunkt, den der Countertenor zum Thema improvisiert. Schwierig, nicht wahr? Versuchen Sie bereits mit zwei Stimmen, einen Kanon auf der Sexte zu improvisieren, der funktioniert!

Die schriftlichen Kompositionen wurden anlässlich der grossen liturgischen Feste sowie in den grossen Pfarreien geschrieben, die sich diesen Luxus leisten konnten, wie dies in Rom der Fall ist. Von da an komponierte Palestrina viele Messen, Motetten, aber auch weltliche Madrigale. Der Komponist wendete die vom Konzil von Trient beschlossenen Reformen erfolgreich an. Die Texte mussten verständlich sein und die Musik eine enge Beziehung zum Text haben.

 

Interpretation

Wie in der Präambel erwähnt, bereitet das Singen von Palestrina keine Schwierigkeiten. Gut zu singen ist eine andere Geschichte. Lassen Sie mich eine persönliche Anekdote erzählen. Diego Fasolis erhielt 2012 den Titel eines Ehrendoktors des Päpstlichen Seminars für Musikwissenschaft für seine Aufnahmen des Palestrina-Werkes. Für seine «lectio magistralis» hatte der Tessiner Dirigent einige singende Freunde mitgenommen. Er wollte seine Arbeiten der Öffentlichkeit in einer offenen Probe vorstellen. In der ersten Reihe der Gäste stand ein alter Kardinal, der beim Anhören dieser Musik sehr schlecht gelaunt aussah. Er fing an, immer stärker an zu seufzen und schlug seinen Stock auf den Boden. Nach einer Weile fing er an zu schreien «No, no, no, è impossibile di cantare cosi questa musica!» Etwas verblüfft erkannte Diego Fasolis den Mann und begann mit ihm zu sprechen, um seinen Standpunkt zu erläutern. Es war Bischof Domenico Bartolucci, Chorleiter der Sixtinischen Kapelle, den Sie im folgenden Beispiel hören können:

https://www.youtube.com/watch?v=byhmNFFLSbM

Tenöre singen die Höhen mit voller Bruststimme, Portamenti, Verlangsamungen und vor allem einem Vibrato, das die schöne mitteltönige Stimmung verhinderte, die für die Klarheit dieser Musik wesentlich ist. Zur Erinnerung: Die grossen Terzen sind etwas kleiner und die kleinen Terzen sind etwas grösser, als bei einem Klavier mit gleichtöniger Stimmung, was der Musik eine schimmernde Farbe und Reinheit verleiht. Um meine kleine Geschichte fortzusetzen: Die Debatte blieb höflich, bis der Prälat die anwesenden Sänger offen attackierte. Diego Fasolis wandte sich an uns: «Liebe Freunde, das Treffen ist vorbei, ich bleibe keine Minute länger, wir werden ein Eis essen, wir kommen nicht umsonst nach Rom!»

Im folgenden Jahr starb Erzbischof Bartolucci und sein Nachfolger konnte die Interpretationen mit Freude entstauben. Er arbeitet auf derselben Grundlage wie Diego Fasolis!

https://www.youtube.com/watch?v=l0mZLPzFUO4&list=PLc2WII0I8AalK57dz4GSAUm31rQsTU1Iv&index=73

Monseigneur Bartolucci versus Diego Fasolis

Professor Francesco Luisi, Musikwissenschaftler, auch genannt «Herr Palestrina», hat eine bemerkenswerte editorische Bearbeitung des gesamten Werks des Komponisten vorgelegt. Jede Ausgabe ist in mehreren Kopien vorhanden: erstens eine Faksimile-Version, bei der jede Stimme separat geschrieben wird. Zu Palestrinas Zeiten kannte man noch keine Möglichkeit, die verschiedenen Stimmen zusammen aufzuführen. Es sieht wunderschön aus (siehe unten), ist aber unmöglich zu dirigieren! Zweitens eine Version immer noch mit der alten Schrift, bei dir die Stimmen aber vereint sind. Und schliesslich eine in moderner Schrift, die aber dem Original gewissenhaft treu bleibt.

Man hat die Wahl, alles hängt von der Probezeit ab, die wir vor uns haben !

Thierry Dagon (Übersetzung: Isabelle Schmied)